Sinti und Roma in Wuppertal

Verfolgung der Sinti und Roma

Reichsweit erfolgten die ersten Verhaftungen von Sinti und Roma im Rahmen der Aktion "Arbeitsscheu Reich". Ob Wuppertaler Sinti und Roma betroffen waren, ist bisher nicht bekannt. Zu ersten Verhaftungen und der Einlieferung in Konzentrationslager kam es ab 1940. Georg Fichtner, der Verwalter der Notsiedlung Klingholzberg, sprach von zahlreichen Verhaftungen: „Im Laufe des Krieges wurden viele Zigeuner wegen Arbeitsverweigerung in Haft genommen." Die ersten Verhaftungen von Wuppertaler Sinti und Roma erfolgten 1940 noch als individuelle Verhaftungen und Einlieferungen in Konzentrationslager zumeist als AZR-Gefangene.  Bisher sind 8 Gefangene aus den Familien Paßquali, Widic, Winter, Köhler und Hoffmann bekannt, die in den Konzentrationslagern gestorben sind.

Im Frühjahr 1940 begann die systematische Deportation aus dem Deutschen Reich in das besetzte polnische Generalgouvernement, wo die Verschleppten in Lager, Ghettos und in Dörfer gebracht und zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden. Jeder Fluchtversuch oder die Rückkehr in das Reichsgebiet wurden hart bestraft. Am 27. April 1940 ordnete Heinrich Himmler die Deportation ganzer Familien an. Die Deportationszüge mit 2.800 deutschen Sinti und Roma in das "Generalgouvernement" gehen im Mai 1940 von Hamburg, Köln und Hohenasperg bei Stuttgart ab. Unter den ca. 330 im Mai 1940 aus Köln Deportierten sind Sinti und Roma aus dem Raum Düsseldorf und dem westlichen Ruhrgebiet, darunter sollen auch Wuppertaler gewesen sein. 

Klingholzberg

(Georg Fichtner). „Die Zigeunerfamilien standen in der Siedlung Klingholzberg unter der ständigen Kontrolle der hiesigen Kriminalpolizei. Der Beamte, der dort täglich die Kontrolle der Zigeuner vornahm, wird ebenfalls in der Lage sein, Näheres über die Familie auszusagen." Paul Kreber hat bis 1944 ständigen Dienst in der Notsiedlung gemacht. "Die Familien wurden auf Anordnung des RSHA abgeschoben. Mir ist noch in Erinnerung, dass sie in ein Sammellager Auschwitz abtransportiert wurden." (Paul Kreber)

3.3.1943 Verhaftung von Wuppertaler Sinti in der Notsiedlung Klingholzberg, Deportation nach Auschwitz.

In der Folge des so genannten Auschwitz-Erlasses für „Zigeuner“ vom 16. Dezember 1942, mit dem Himmler die systematische Verhaftung und Deportation der rund 10.000 noch im Reich verbliebenen Sinti und Roma in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau anordnete, wurden im Frühjahr 1943 von der Kripo auch in Wuppertal Verhaftungen eingeleitet.  „Auf Befehl des Reichsführers SS vom 16.12.1942 - Tgb. Nr. I 2652/42 Ad./RF/V - sind Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft nach bestimmten Richtlinien auszuwählen und in einer Aktion von wenigen Wochen in ein Konzentrationslager einzuweisen. Unter Geheimhaltung wurden die Betroffenen familienweise verhaftet, ihr Eigentum mussten sie zurücklassen - Geld, Wertgegenstände, Ausweispapier wurden ihnen geraubt und vom Finanzamt verwertet.. Über Gefängnisse und Zwischenlager kamen die Sinti ud Roma nach Auschwitz-Birkenau, in ein speziell abgegrenztes Areal dieses Vernichtungslagers. Dort mussten sie unter entsetzlichsten Umständen leben. Im Jahr 1943 wurden über 20.000 Sinti und Roma nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo die meisten der 23.000 Insassen an Hunger, Krankheiten und Misshandlungen und medizinischen Experimenten starben. In einer Nacht Anfang August 1943 wurde dieser Teil des Lagers Auschwitz liquidiert.

In Wuppertal wurden u.a. die Familien Franz, Widic, Munk, Reinhardt, Marx und Paßquali nach Auschwitz deportiert, 41 starben in Auschwitz.  Es ist unklar, wer die Deportation durchgeführt hat. Zuständig war grundsätzlich die Kriminalpolizei und nicht die Gestapo, wie die Aussage von Georg Fichtner vermuten lässt.  "Anlässlich einer Gestapoaktion wurde die Zigeunerfamilie Franz mit noch neun anderen Zigeunerfamilien am 3.3.43 in das Konzentrationslager Auschwitz überführt. Bis zum 3.3.43 hat die Familie Franz in der Städt Notsiedlung Klingholzberg 60 gewohnt.“(Bescheinigung von Georg Fichtner, Verwalter der Notsiedlung Klingholzberg) StAW AfW Nr. 77618

Es gab Ausnahmeregelungen für diejenigen, die nicht deportiert werden sollten; die Etikettierung, wer „Zigeuner“ oder „Zigeunermischling“ sei, wurde lokal durchgeführt, das Reichskriminalpolizeiamt gab „lediglich“ Klassifikationskriterien vor, d. h. die Eigenverantwortlichkeit der Kriminalstellen vor Ort war sehr groß. Nach Okroy war Paul Kreber im Jahr 1943 in der erkennungsdienstlichen Abteilung im Polizeipräsidium in Wuppertal tätig. In dieser Abteilung der Kriminalpolizei befanden sich die Akten und Gutachten der „Rassenhygienischen und bevölkerungspolitischen Forschungsstelle“ im Reichsgesundheitsministerium. Diese lieferten das „Material“, auf deren Grundlage „Zigeuner“ nach rassistischen Kriterien eingeordnet und später deportiert wurden. 

Paul Weiss: „Sie haben sich mit ihrem Leben für uns eingesetzt“, in: Daniel Strauß: …weggekommen. Berichte und Zeugnisse von Sinti, die die NS-Verfolgung überlebt haben, Bodenheim b. Mainz 2000, S. 220-225. 

Schätzungen sprechen von bis zu 500.000 Sinti und Roma aus ganz Europa, die dem Rassenwahn der Nationalsozialisten und dem an ihnen systematisch geplanten Völkermord zum Opfer fielen. Roma und Sinti starben in Auschwitz, Majdanek, Treblinka, Chelmno und Litzmannstadt/Lodz in Polen, Stutthof bei Danzig, Groß-Rosen in Schlesien, Ravensbrück, Sachsenhausen und Buchenwald, Theresienstadt, Mauthausen, Lackenbach, Dachau, Bergen-Belsen und Neuengamme,Natzweiler-Struthof, Montreuil, Jasenovac, Zemun-Belgrad  und beim  Massaker von Babi Jar bei Kiew.

 

http://www.ravensbrueckblaetter.de/alt/schwerpunkte/sintiroma/sintiroma....

Chronologie des Völkermords

1931 Beginn der Erhebung über die beiden "außereuropäischen Fremdrassen" in Deutschland (Juden und "Zigeuner") durch die "NS-Auskunftei" des "SD des Reichsführers SS" in München.

14. Juli 1933 "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses": Die Sterilisierung verschiedener Bevölkerungsgruppen, "insbesondere der Zigeuner", wird angeordnet.

1935/36 Die "Nürnberger Rasse-Gesetze" stellen Sinti und Roma den Juden gleich ("Ehegesundheitsgesetz", "Blutschutzgesetz", "Reichsbürgergesetz")

seit 1935 In zahlreichen Gemeinden Einrichtung kommunaler, oft mit Stacheldraht umgebener Sammellager für "Zigeuner"

Juni/Juli 1936 Etwa 400 Sinti und Roma werden im KZ Dachau interniert. 

Juli/August 1936 Vor den Olympischen Spielen werden etwa 600 Berliner Sinti und Roma in das Zwangslager Marzahn verschleppt.

November 1936 Einrichtung des "Rassehygieneinstituts", Leitung Dr. Robert Ritter, im Reichsinnenministerium in Berlin. Das Institut erstellt bis Ende 1944 rund 24.000 "Rasse-Gutachten".

1937/1938 Aufbau einer "Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens" im Reichskriminalpolizeiamt (RKPA).

1937/1938 Berufsverbot für Selbständige und Beamte. Auflagen der "Rassensondersteuer" bei der Lohnsteuer

April 1938 Aktion "Arbeitsscheu Reich": Großrazzien im gesamten Deutschen Reich, Deportation der sog. "Arbeitsscheuen", darunter zahlreiche "Zigeuner", nach Buchenwald.

12.-18. Juni 1938 Verstärkte Deportation (ca. 2.000 deutsche und österreichische Sinti und Roma) in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald, Sachsenhausen, später auch nach Mauthausen. 

1. Oktober 1938 Übernahme der NS-"Zigeunerpolizeistelle" München in das Reichskriminalpolizeiamt unter der Leitung von SS-Oberführer Arthur Nebe. Die Deportation der Juden und "Zigeuner" führt Adolf Eichmann im Amt IV, B4 durch. Die Gestapo zieht das bei den Deportationen geraubte Vermögen der Sinti und Roma ein.

8. Dezember 1938 Himmlers Runderlass "Bekämpfung der Zigeunerplage": Es sei "die Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen der Rasse heraus in Angriff zu nehmen".

17. Oktober 1939 Himmlers "Festschreibungserlaß": Verbot für "Zigeuner" im Reich, ihren Wohn- oder Aufenthaltsort zu verlassen - Die dem Reichssicherheitshauptamt unterstellten 21 "Zigeunerleitstellen" von Königsberg, Prag, Wien, München bis Hamburg haben KZ-ähnliche Sammelstellen zur Vorbereitung der Abtransporte in die Vernichtungslager einzurichten. 

Januar/Februar 1940 Erste Massenmordaktionen des Holocausts: 250 Roma-Kinder aus Brno (Brünn) werden im KZ Buchenwald bei einem "Test" der Wirkung des Zyklon B-Gases ermordet. 

27. April 1940 Himmlers Anordnung zur ersten Deportation ganzer Familien. Die Deportationszüge mit 2.800 deutschen Sinti und Roma in das "Generalgouvernement" gehen im Mai von Hamburg, Köln und Hohenasperg bei Stuttgart ab.

November 1940 Einrichtung des "Zigeunerlagers" KZ Lackenbach südlich von Wien.

Sommer 1941 Beginn der SS-Einsatzgruppenmorde in der besetzten UdSSR, die sich auch gegen "Zigeuner" richteten, von Wehrmacht und ziviler Okkupationsverwaltung aktiv unterstützt.

November 1941 Deportation von 5.000 österreichischen "Zigeunern" ins Ghetto Lodz; etwa die Hälfte der Deportierten aus dem KZ Lackenbach. 

Herbst 1941-1944 Ermordung von polnischen "Zigeunern" durch deutsche Polizeieinheiten und in Ghettos und Lagern.

Januar 1942 5.000 burgenländische Roma aus dem Ghetto von Lódz werden im Vernichtungslager Kulmhof in Vergasungswagen ermordet. Alle ostpreußischen Sinti- und Roma-Familien, meist Bauern mit Höfen und Vieh, werden in das KZ Bialystok und von dort 1943 nach Auschwitz deportiert.

29. August 1942 Deutsche Militärverwaltung meldet: Ganz Serbien unter deutscher Besatzung gilt als "juden- und zigeunerfrei" 

18. September 1942 Das Programm des Reichsführers SS zur "Vernichtung durch Arbeit" betrifft neben Juden, Russen, Ukrainern und anderen auch die "Zigeuner". 

16. Dezember 1942 Himmlers "Auschwitz-Erlaß" für die Deportation von 22.000 Sinti und Roma aus Europa, davon die letzten 10.000 aus dem Reichsgebiet, in den als "Zigeunerlager" bezeichneten Abschnitt des KZ Auschwitz-Birkenau ab März 1943. 

ab März 1943 Monatliche "Zigeunertransporte" nach Auschwitz, aus allen von den Deutschen besetzten Gebieten Europas. 

Mai 1943 Dr. Josef Mengele wird SS-Lagerarzt von Auschwitz. Selektionen, Fortsetzung der "Zwillingsforschung" an jüdischen und Sinti-Kindern. 

Herbst 1943-1945 Verstärkte Zwangssterilisationen von Sinti und Roma im 'Deutschen Reich'. 

2./3. August 1944 'Liquidierung' des "Zigeunerlagers" in Auschwitz-Birkenau. Von den im Juli 1944 noch lebenden 6.000 Sinti und Roma werden 3.000 in andere Konzentrationslager deportiert, die anderen 3.000 in der Nacht auf den 3. August ermordet. 

Mai 1945 Die Zahl der in Europa bis Kriegsende in Konzentrationslagern und von SS-Einsatzgruppen ermordeten Roma und Sinti wird auf ca. 500.000 geschätzt. Von den durch die Nationalsozialisten erfassten 40.000 deutschen und österreichischen Sinti und Roma wurden über 25.000 ermordet.

Gerhild Vollherbst

(aus: Rose, R. /Weiss, W.: Sinti und Roma im "Dritten Reich", Göttingen 1991, Bastian, T.: Sinti und Roma im Dritten Reich. München 2001, und www.sinti-und-roma-informationen.de)

http://www.ravensbrueckblaetter.de/alt/archiv/111/8_111.html

 

Unbehelligte Täter - unentschädigte Opfer

Statt Entschädigung und Anerkennung ihrer Verfolgung haben Roma und Sinti in Deutschland nach 1945 weitere Stigmatisierung und Entrechtung erfahren. Dabei trafen sie - beispielsweise bei Schadenersatzprozessen - zum Teil auf Gutachter, die während des Nationalsozialismus für ihre Verschleppung in Konzentrationslager verantwortlich waren. Zwei tragende Figuren in diesem Zusammenhang waren Robert Ritter (1901-1951), vor 1945 Leiter der rassehygienischen Forschungsstelle in Berlin, und seine Assistentin Eva Justin (1909-1966). Eine verheerende personelle und inhaltliche Kontinuität gab es aber auch bei der Polizei.
Der Nervenarzt Ritter und die Psychologin Justin waren im "Rassehygieneinstitut" für die "Erfassung und Sichtung aller Zigeuner und Zigeunermischlinge" zuständig. Ihre pseudowissenschaftlichen Gutachten boten die Basis für die Ermordung Tausender in den Vernichtungslagern: Daten von mehr als 25 000 deutschen Roma und Sinti hatte ihr Institut gesammelt. Dies ging nur, weil es eine reibungslose Zusammenarbeit mit Fürsorge- und Gesundheitsämtern, den Pfarrämtern und der Kriminalpolizei gab, berichtet die Roma-Union. Bis 1942 überführte das "Ritter-Institut", mittlerweile dem Reichssicherheitshauptamt angeschlossen, mehr als 30.000 Akten an Gestapo und Polizei, wo sie zum "Leitfaden" des Völkermordes wurden. Die Psychologin Justin schrieb ihre Doktorarbeit über Sinti-Kinder. Nach Abschluss ihrer Arbeit wurden bis auf drei Kinder alle in Auschwitz ermordet.

Ritter und Justin führten im Jugend-KZ Uckermark "erb- und kriminalbiologische" Untersuchungen an Häftlingen durch. Diese waren für zahlreiche Zwangssterilisierungen sowie für Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, Ravensbrück, Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald verantwortlich.

Die beiden Forscher wurden nach dem Krieg nicht zur Verantwortung gezogen. Im Gegenteil - sie setzten ihre Karrieren fort, obwohl ihre früheren Funktionen bekannt waren. Ritter war ab 1947 Amtsarzt der Stadt Frankfurt am Main, Justin wurde leitende Kriminalpsychologin beim Jugendgesundheitsamt dieser Stadt. Zum Nachteil betroffener Sinti und Roma wurde Ritter in Entschädigungsverfahren nach 1945 als Gutachter engagiert.

Unbehelligt blieben auch die "Fachkräfte" der Polizei. Den behördlichen Umgang mit Angehörigen der Minderheit übernahmen viele Beamte, die schon im Reichssicherheitshauptamt ihre Erfahrungen bei der Zigeunerverfolgung gesammelt hatten. Die Dienststelle für "Landfahrer" in München, vor 1945 für die Deportation bayerischer Sinti und Roma zuständig, setzte ihre Arbeit einfach fort und benutzte bis in die 60er Jahre Akten des "Ritter-Instituts". 1962 erschien ein offizieller "Leitfaden für Kriminalbeamte", in dem Sinti und Roma nach wie vor "eine ausgeprägte Arbeitsscheu" unterstellt wird.

Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma wurden in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft geleugnet oder als "kriminalpräventive Maßnahme" gegen als "asozial" bezeichnete "Zigeuner" dargestellt. Wiedergutmachungszahlungen wurden ihnen zum größten Teil vorenthalten. Ausgebürgert, ihrer sozialen und ökonomischen Existenz beraubt, von den grauenhaften Erfahrungen in den Lagern traumatisiert, kehrten die Überlebenden in ihre Heimat zurück. Dort erfuhren sie die anhaltende Wirksamkeit antiziganistischer Vorurteile und eine Ausgrenzungspolitik, die weiterhin auf der NS-Rasseideologie beruhte. So begründete der Bundesgerichtshof am 7. Januar 1956 die Ablehnung von Entschädigungen für Sinti und Roma damit, dass sie nicht "aus Gründen der Rasse", sondern aufgrund ihrer "asozialen Eigenschaften" verfolgt worden seien.

Das Bundesentschädigungsgesetz schloss Roma und Sinti in mehrerlei Hinsicht von Entschädigungsansprüchen aus: Nur diejenigen Personen, die ihren Wohnsitz im Gebiet des früheren Deutschen Reichs gehabt oder zumindest zum "deutschen Sprach- und Kulturkreis" gehört hatten, und aus Gründen der politischen Überzeugung, des Glaubens oder der Rasse verfolgt worden waren, waren anspruchsberechtigt. Diese Voraussetzungen wurden den Roma und Sinti rundweg abgesprochen - auch wenn diese zum Teil deutsche StaatsbürgerInnen (gewesen) waren und/oder sich seit Generationen auf deutschem Gebiet niedergelassen hatten.
Die rassenideologische Begründung des Völkermords an Roma und Sinti wurde außerdem noch bestritten: Der Kommentar zum Entschädigungsgesetz legte fest, dass jegliche Verfolgung vor 1943 - bis zu ihrer Deportation nach Auschwitz - ausschließlich aus "kriminalpolitischen Gründen" erfolgt sei. Die Zwangseinlieferungen in sog. "Zigeunerlager" im Deutschen Reich, die Deportationen in das besetzte Polen 1939/40, Zwangsarbeit, Massen-Erschießungen, medizinische Versuche, seien aufgrund der "asozialen Eigenschaften" der Zigeuner" erfolgt.
Am 18. Dezember 1963 revidierte der Bundesgerichtshof diese Entscheidung zum Teil: Roma und Sinti wurde zugestanden, dass in Folge des "Himmler-Erlasses" vom 8. 12. 38, der die endgültige Lösung der Zigeunerfrage "aus dem Wesen der Rasse heraus" ankündigte, "in Einzelfällen" rassenideologische Motive bei der Verfolgung und Ermordung der Angehörigen der Roma und Sinti "mitursächlich" gewesen seien.

Der Bundestag eröffnete nach dieser Revidierung eine erneute Antragsmöglichkeit für diejenigen Verfolgten, die die rassistische Motivation ihrer Verfolgung vor 1943 nachweisen konnten. Die Beweislast lag auf Seiten der Opfer. Eine Mindestzeit in bestimmten offiziell anerkannten Lagern und Ghettos musste nachgewiesen werden - wobei so genannte Zigeunerlager oftmals nicht anerkannt wurden. Ansprüche wegen Gesundheitsschäden aufgrund von Zwangssterilisationen und medizinischen Experimenten wurden abgelehnt. Als Amtsärzte wurden bis in die 60er Jahre ehemalige NS-Ärzte und -Gutachter herangezogen. Behörden und Ämter benutzten die umfangreichen NS-Akten, um die Verfolgung kriminalistisch zu begründen und Entschädigungsansprüche abzuwehren.

Ab 1979 forderte die sich formierende Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma öffentliche Aufmerksamkeit für diese unerträgliche Situation. Mit einem Hungerstreik in der KZ-Gedenkstätte Dachau 1980 wurde die Forderung unterstrichen, die Ritter'schen Rasse-Gutachten und die Akten der Zentralstelle in München an die Betroffenen herauszugeben. Diese Unterlagen wurden schließlich dem Bundesarchiv in Koblenz übergeben.

Die Arbeit der Bürgerrechtsbewegung schaffte es, ein größeres gesellschaftliches Bewusstsein für die Situation der Sinti und Roma zu erreichen. Der Bundestag richtete 1981 einen "Härtefonds" ein, der eine Pauschalentschädigung von bis zu 5.000 DM für bisher nicht entschädigte Verfolgte ermöglichte. 1985 schließlich erfolgte die Anerkennung des Völkermords an Roma und Sinti durch den Bundestag.

Weitere Bücher zum Schwerpunkt:

Anna Mettbach/Josef Behringer, "Wer wird die nächste sein?" Die Leidensgeschichte einer Sintezza, die Auschwitz überlebte, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-86099-163-9. Eindrucksvoll rückt das Buch die Lebensgeschichte der Sintezza Anna Mettbach in den Mittelpunkt. Der Bericht ist ein Mosaikstein, um etwas von dem unermesslichen Leid zu ertragen, das Roma und Sinti im Nationalsozialismus ausgesetzt waren. Zudem gibt das Buch einen exemplarischen Einblick in den ernüchternden Kampf um Entschädigung nach 1945. mh

"...weggekommen." Berichte und Zeugnisse von Sinti, die die NS-Verfolgung überlebt haben.
Am 16. Mai 2000 jährte sich zum 60. Mal die erste Massendeportation von insgesamt 2.500 Sinti und Roma aus dem "Deutschen Reich" in das von den Deutschen besetzte Polen. 35 Zeitzeuginnen und -zeugen berichten in Interviews über die brutale Verschleppung, die grausamen Erlebnisse in den Lagern, die Zwangsarbeit und die an ihnen verübten medizinischen Experimente.
Hrsg. von Daniel Strauß Philo-Verlag, 2000, 276 S., ISBN 3-8257-0172-7

Gilad Margalit: Die Nachkriegsdeutschen und "ihre Zigeuner". Die Behandlung der Sinti und Roma im Schatten von Auschwitz
Gilad Margalit setzt sich in seiner Arbeit mit dem staatlichen und gesellschaftlichen Umgang der im Nationalsozialismus verfolgten "Zigeuner" auseinander. Besonders hervorzuheben ist hier seine systematische Untersuchung gegenüber Sinti und Roma vom Kriegsende bis in die sechziger Jahre. Berücksichtigt werden beide deutsche Nachkriegsstaaten.
Metropol-Verlag, Berlin 2001, 304 S. ISBN 3-932482-38-7

Till Bastian: Sinti und Roma im Dritten Reich. Geschichte einer Verfolgung
Prägnante Überblicksdarstellung: Geschichte der Diskriminierung und Ausgrenzung von Roma und Sinti vom Mittelalter bis in die Gegenwart. "Rassenideologische" Grundlagen der NS-Vernichtungspolitik, Chronologie des Völkermords an Roma und Sinti, Täter- und Vorurteils-Kontinuitäten nach 1945 in der BRD. Verlag C. H. Beck, München 2001, 95 S., ISBN 3-4064-7551-5

 

 
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