Leiter des SD in Wuppertal war der Dachdecker Curt Benn. Die Außendienststelle des SD war in der Von-der-Heydts-Gasse eingerichtet. Sie unterstand dem „SD-Unterabschnitt Düsseldorf“ unter der Leitung von SS-Hauptsturmführer Paul Blobel1 und dem in Düsseldorf residierenden „SD-Oberabschnitt West“ unter SS-Sturmbannführer Alfons Glatzel.2 Weiterhin wurde der Vernehmungsbeamte Friedhelm Schüttler ab 1. Januar 1936 als SD-Mitglied geführt.
Die SD-Dienststellen in Wuppertal und Düsseldorf leiteten regelmäßig Anzeigen wegen „staatsfeindlicher Betätigung“ an die Wuppertaler Gestapo weiter, die dann die Vorermittlungen übernahmen. Gleichzeitig informierte der Gestapo-Beamte und SD-Mann Friedhelm Schüttler regelmäßig den Wuppertaler SD-Chef Curt Benn über den Stand der Ermittlungen in den „Hochverrats“-Angelegenheiten.3 Benn gab diese Informationen an die übergeordneten SD-Dienststellen in Düsseldorf und Berlin weiter.
Die Beteiligung des SD bei der Zerschlagung der Wuppertaler Widerstandsstrukturen ist durch eine Reihe von Quellen belegt. Den Verhaftungen von Willi Spicher, Hans Salz und August Gerhards gingen Operationen und Hinweise des SD voraus. Aus einem Dokument des SD vom 30. Dezember 1937 geht hervor, dass der „SD-Unterabschnitt Düsseldorf“ über die Verhaftungen 1935-1936 genau informiert war und ein eigenes Berichtswesen über die Hintergründe der Verhaftungen aufgebaut hatte.4 In diesem Bericht findet sich neben verschiedenen Schlussberichten und Fahndungslisten auch eine Art statistische Auswertung für das Jahr 1936, die zeigen sollte, dass die vermeintlichen Kommunisten keine betriebliche Basis hätten. 180 von 324 Personen waren nach diesen Angaben erwerbslos, 30 waren Ehefrauen. 18 Personen arbeiteten in sog. „heereswichtigen Betrieben“, 16 beim städtischen Fuhrpark. Die übrigen waren in Textil- und Metallbetrieben beschäftigt. Dem SD war besonders wichtig, dass die 1936 Festgenommen nicht mehr im Betrieb agitiert hätten. „Wie die Feststellungen ergeben haben, haben die in den einzelnen Betrieben beschäftigten Personen innerhalb ihrer Arbeitsstelle keinerlei kommunistische Propaganda betrieben. Die kommunistische Propaganda wurde hauptsächlich von den erwerbslosen illegalen Mitgliedern der KPD an Arbeitsämtern, Wohlfahrtsämtern, Märkten und Lesehallen betrieben.“5
Belegt ist auch der Einsatz von Düsseldorfer SD-Personal bei Vernehmungen in Wuppertal: „In Kreisen komm. Funktionäre kam der Irrtum auf, es habe sich bei den in Wuppertal eingesetzten Personen um ein eigens entsandtes ‚Berliner Kommando’ der Gestapo gehandelt.“6 Nicht das „Sonderkommando Wecke“ aus Berlin unterstützte die Wuppertaler Gestapo bei der Zerschlagung der Wuppertaler und Velberter Widerstandsgruppen, sondern ein SD-Sonderkommando aus Düsseldorf. „Diese Arbeit ließ sich aber nur dank der tatkräftigen Unterstützung des SD-Oberabschnittes West bewerkstelligen, der mehrere in der KPD-Abwehr geschulte Kräfte zur Verfügung stellte.“7 Mindestens zwei der „geschulten Kräfte“ lassen sich sicher identifizieren: Der eine war Josef Huppertz, der andere war der Düsseldorfer SD-Mann und spätere SS-Oberscharführer Hermann Nosbüsch. Beide waren in Wuppertal als Vernehmer tätig. Die beiden entlasteten die Stapo, „da die Vernehmungsbeamten nicht mit der Arbeit durchkamen.“8
Der SD hatte wie die Gestapo einen eigenen Stamm von V-Leuten aufgebaut, die als Informationsbeschaffer und Spitzel in die Organisationen der Arbeiterbewegung eingeschleust wurden. Hierbei tat sich besonders Josef Huppertz hervor.9 Da er zwischen 1927 und 1933 als Bezirksleiter der KPD in Düsseldorf fungiert hatte, konnte er wesentliche Informationen liefern, die zur raschen Zerschlagung der illegalisierten KPD in den ersten Monaten der Nazi-Diktatur führten. Huppertz war z.B. bei der Verhaftung von August Gerhards als Agent Provocateur tätig. Er übergab ihm illegale Flugblätter, die dann prompt bei einer Hausdurchsuchung gefunden wurden.10
Bei den Vernehmungen standen die SD-Angehörigen den Mitarbeitern der Gestapo an Brutalität und Grausamkeit in nichts nach. In einem Lagebericht der Gestapo hieß es über die Ermittlungsarbeit des SD, dass sich in Folge der vielen Festnahmen „manche Härte nicht vermeiden ließ.“11 Vielfach wurden den Gefangenen die Augen verbunden, damit diese die SD-Leute – einer von ihnen war V-Mann Huppertz – nicht erkennen konnten. Ein Teil der Häftlinge soll gezwungen worden sein, antifaschistische Flugblätter an Dritte weiterzugeben, um darüber weitere Personen überführen zu können.12
Bei der fragmentarischen Quellenlage bleibt unklar, wie groß der Anteil des SD-Unterabschnitts Düsseldorf bzw. SD-Oberabschnitts West an der Ermittlungs- und Repressionsarbeit insgesamt war. Da nach dem Krieg keine speziellen Strafverfahren gegen Wuppertaler und Düsseldorfer SD-Angehörige geführt wurden, konnten die angeklagten Gestapobeamten unwidersprochen die Schuld auf unbekannte SD-Angehörige abwälzen. Hans Zimny, der nachweislich an schwersten Folterungen beteiligt war und der in seinen Aussagen nach dem Krieg seine Beteiligung an Folterverhören leugnete, behauptete die Existenz eines 40köpfigen mobilen SD-Sonderkommandos unter dem Befehl eines SS-Führers, der als „Löwe vom Niederrhein“ berüchtigt gewesen sei.13 Zur eigenen Entlastung behaupteten die Wuppertaler Gestapo-Angehörigen in den Verhören nach dem Krieg, dass die Angehörigen des Sonderkommandos die Observation, Festnahme und Verhöre von Mitgliedern des kommunistischen Untergrunds übernommen hätten. Die unbekannten SD-Leute hätten die Gestapo-Folterer Freude und Zimny zu verschärften Vernehmungsmethoden gezwungen. Herr der Wuppertaler Ermittlungen sei nicht mehr die Gestapo, sondern seien namentlich unbekannte Leute des „SD Unterabschnitt Düsseldorf“ gewesen.14 Die Gestapo-Täter behaupteten, dass Curt Benn, wenn die Vernehmungen der Gestapo ins Stocken gerieten, die Angehörigen des SD mit den weiteren Ermittlungen beauftragt habe. Einige Beamte oder Angestellte des örtlichen SD oder des Düsseldorfer Kommandos seien – zum Teil uniformiert, zum Teil in Zivilkleidung – bei den Vernehmungen zugegen gewesen und hätten sich als Schlägertruppe unmittelbar an den Verhören beteiligt. Die jeweiligen Gestapobeamten hätten den SD-Leuten dazu einen Bogen mit vorformulierten Fragen vorgelegt, die diese dann im Rahmen sogenannter „Vorvernehmungen“ hätten abarbeiten müssen. Die in der Regel erfolterten „Geständnisse“, d.h. in erster Linie die Namen weiterer Verdächtiger seien dann an die Gestapo weitergegeben worden.15 Die nach dem Krieg gemachten Zeugenaussagen der Gefolterten sind hingegen eindeutig. Freude, Zimny und auch Pedrotti genauso wie der Gestapo- und SD-Mann Schüttler wurden eindeutig als Folterer und Schläger identifiziert.
1 Paul Blobel, Jahrgang 1894, von Beruf Architekt, wurde mit dem Angriff auf die Sowjetunion als SS-Standartenführer zum Führer des Sonderkommandos (SK) 4a der Einsatzgruppe C ernannt, die im Operationsraum der Heeresgruppe Süd mit der Ermordung „weltanschaulicher Gegner“ beauftragt war. Bis Januar 1942 ermordete das SK 4a ca. 60.000 Menschen, darunter allein ca. 30.000 Juden am 29. und 30.9.1941 in der Schlucht von Babi Jar bei Kiew. Im Einsatzgruppenprozess (Fall 9) der Nürnberger Nachfolgeprozesse gegen Otto Ohlendorf u.a. wurde Paul Blobel am 10.4.1948 neben 13 anderen hochrangigen SS-Führern zum Tod verurteilt. Am 7.7.1951wurde er in Landsberg hingerichtet. Vgl. Okroy, Michael: Paul Blobel, Architekt aus Solingen und seine „Sonderaufgaben im Osten“ : regionale Bezüge zu einem Täter im Holocaust, in: Romerike Berge, 46 (1996) 3, S. 20-26.
2 Alfons Glatzel stieg zum SS-Brigadeführer auf. 1943 war er „Beauftragter des Generalbeauftragten für den Arbeitseinsatz in Frankreich.“
3 Vgl. die Aussage von Artur Peters in der Strafsache gegen Helmut Schmidt vom 27.9.1949, LAV NRW R, Gerichte, Rep. 240/85, Bl. 19.
4 Vgl. Rübner, Gestapo-Terror in Wuppertal, S. 21. Siehe Sammelmappe des SD-Unterabschnitts Düsseldorf, LAV NRW R, RW 58, Nr. 55535.
5 SD-Bericht vom 5.1.1937, Sammelmappe des SD-Unterabschnitts Düsseldorf, LAV NRW R, RW 58, Nr. 55535.
6 BArch B, R 58 /3777, Bl. 193, 268; vgl. LAV NRW R, RW 58, Nr. 27851.
7 Ebd. Bl. 193.
8 Vgl. ebd., Bl. 193. Zu Huppertz siehe das Kapitel V-Leute. Vgl. Mensing, Wilhelm: Gestapo V-Leute kommunistischer Herkunft – auch ein Strukturproblem der KPD? in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen 34, 2005, S. 77-106.
9 Vgl. Gestapo-Bericht vom 5.9. 39, LAV NRW R, RW 58, Nr. 7573.
10 Vgl. Gestapoakte August Gerhards, LAV NRW R, RW 58, Nr. 12446.
11 SD-Bericht vom 15.10.1936, Sammelmappe des SD-Unterabschnitts Düsseldorf, LAV NRW R, RW 58, Nr. 55535.
12 Vgl. Aussage Hans Zimny vor dem Amtsgericht Hannover Abt. 43 vom 19.9.1949, LAV NRW R, Gerichte, Rep. 240/85, Bl. 5; Aussage von Hans Zimny vor dem Landgericht Wuppertal vom 2.11.1949, LAV NRW R, Gerichte, Rep. 240/85, Bl. 30 u. 32.
13 Vgl. LAV NRW R, RW 58, Nr. 7573, Bl. 193 und Bl. 173-176; LAV NRW R, Gerichte, Rep. 240/85 (LG Wuppertal VU 32/49 – VII) Bl. 5, 27.
14 Vgl. Aussage Karl Freude bei der Kripo Wuppertal vom 10.3.1948, LAV NRW R, Gerichte, Rep. 240/184, Bl. 23.
15 Vgl. ebd.