Louis Rutten

, Niederlande
gestorben: 
18. November 1944 Transport nach Wuppertal
Opfergruppe: 
Für den 16-jährigen Louis Rutten aus Oirlo kam die Hilfe zu spät. Der Junge hatte übrigens mit seinem Onkel, dessen Frau hochschwanger war, den Platz getauscht. Seine sterbliche Hülle wurde in eine Decke gewickelt und auf einen Wagen vom Roten Kreuz gelegt. Jan Lommen aus Geyseteren, Johannes Joosten aus Blitterswijk und ein Beamter der Grünen Polizei erlagen ebenfalls an Ort und Stelle ihren Verletzungen. Abgesehen von Louis Rutten – er fand seine letzte Ruhestätte in einem namenlosen Grab – wurden die Limburger Toten in Breyell bestattet, um nach dem Krieg in ihrer Heimatstadt beerdigt zu werden. G. Nelissen aus Oirlo, G. Versleyen aus Tienray, L. Calon, der in Castenray untergetaucht war, J. Vermazeren aus Wanssum und L.C. Janssen aus Oosterum waren dermaßen übel dran, dass auch um ihr Leben gefürchtet werden musste. Aus dem Wäldchen wurden die Toten und Verletzten in einen Bauernhof gebracht. Leo Nelissen wich nicht von der Seite seines Bruders Gerard. „Ich habe mein Hemd in Streifen gerissen und so versucht, die Wunden zu verbinden. Sein rechtes Schienbein war getroffen und sein linker Oberschenkel. Eine Wunde ließ sich nicht verbinden, sie saß zu hoch. Mein Neffe Jos Vollebergh lag dicht neben ihm mit seinem Schuss durchs Handgelenk und Augen voller Blut. Sein Handgelenk habe ich ebenfalls abgebunden und ihn zunächst in das Wäldchen gebracht. Zurück bei Gerard kreuzten die Flieger in großen Kreisen über uns. Wie Geier, die über dem Aas kreisen. (...) Louis Rutten, noch keine 15 Jahre alt, lag tot mit zerschossenem Kiefer. Calon, ein Untergetauchter, lag mehr tot als lebend. Gerard wurde immer bleicher und fragte nach den anderen.“
Inzwischen waren ein Arzt und ein Pfleger angekommen. Leo Nelissen: „Jetzt, da die Gefahr geringer war, lief ich zum Wäldchen, um die anderen zu warnen, und rief zugleich einen Pater, der mir auch eine Rolle Verbandmull gab. Ich bat einen Grünen Polizisten nach einem seiner Kameraden zu sehen, aber er schien es satt zu haben, da er hörte, dass auch ein ,Grüner’ sein Leben gelassen hatte. Der Pater erteilte den Jungen die Absolution, und das beruhigte sie wieder etwas. Inzwischen wurden Leitern gebracht, auf die etwas Stroh gelegt wurde, und die Verwundeten wurden vorsichtig draufgeschoben. So sollten sie ins Krankenhaus gebracht werden. Gerard ging es viel schlechter, als wir annahmen. Wir versuchten, ihm Mut zu machen. ,Wir gehen alle zusammen wieder nach Hause!’ ,Nein, ich sterbe, das fühle ich. Es war so toll, alle zusammen in einem Hühnerstall. Bleibt ihr bei mir?’ Es wurde zwar versprochen, aber wie konnte das verwirklicht werden? Not lehrt beten, und wir haben gebetet! Gerard bat um seinen Rosenkranz. Am Waldrand, beim Bauernhof, stand ein schwerer LKW bereit, um die Freunde ins Krankenhaus zu bringen. Inzwischen waren die Flugzeuge wieder da. Endlich konnte der LKW abfahren. Durch das Rumpeln des Wagens litten die Verwundeten arge Schmerzen. Bei einem Verbandposten im Breyell wurde Halt gemacht. Hier wurden die Namen der Freunde aufgenommen, und nach einer Viertelstunde ging es wieder weiter. Es wurde erneut an einem Rotkreuz-Verbandplatz gehalten; aber sie waren zu schwer verwundet, als dass ihnen da hätte geholfen werden können. Endlich ging es zum Krankenhaus. Ein Rotkreuzwagen fuhr voraus, denn es waren noch immer Tommys in der Luft. Am Straßenrand standen bestimmt sieben bis zehn PKWs, auf die geschossen worden war. Mehrere kleine Fabriken brannten lichterloh. Sie hatten fürchterlich gehaust. Im Krankenhaus trugen wir Gerard auf den Flur, auf dem auch die anderen Verwundeten lagen. Von hier aus wurden sie mit dem Aufzug nach oben gebracht. Gerard sagte da schon nichts mehr, nur den Rosenkranz, der zwischen die Decke gefallen war, wollte er wiederhaben. Noch einmal fragte eine Schwester nach den Namen. Dann kam ein Grüner Polizist und befahl uns mitzugehen. Wie fragten, ob wir warten dürften, bis Gerard auf einem Zimmer lag. Das ginge nicht, sagte die Bestie. Gerard war sehr bleich, seine Hände und sein Gesicht waren durch und durch kalt. Es bestand wenig Hoffnung; das konnten wir schon feststellen. Wieder auf den Wagen, zurück an den Ort des Unglücks.“ Nelissen starb kurze Zeit später in einem Düsseldorfer Krankenhaus.
 
Auch L. Calon schaffte es nicht. Er starb im St.-Cornelius-Hospital in Dülken, wohin er mit etwa 20 anderen gebracht worden war. Nach einem Bombenangriff Ende November war das Krankenhaus überfüllt, und die Schwerstverwundeten J. Vermazeren und L. Janssen wurden nach Viersen verlegt. Die Übrigen folgten kurz vor Weihnachten. Alle erlebten die Befreiung am 28. Februar ‚45. Zehn Verwundere wurden vom Unglücksort ins Krankenhaus von Breyell transportiert. Da bekamen sie bald Besuch von Mien Hovens. Sie gehörte zu einer örtlichen niederländischen Siedlung und hatte Verwandte in Tienray. Durch Vermittlung ihres Vaters, einem geachteten Breyeller Bürger, genossen sie von da an besondere Pflege. Für G. Versleyen kam diese leider zu spät, er starb nach einigen Tagen. Um eine drohende Verlegung der übrigen neun Männer in ein Krankenhaus in Frankfurt/Oder abzuwenden, nahm Hovens mit dem Breyeller Bürgermeister Kontakt auf. Sie der Gefahren bewusst erklärte Hovens sich bereit, die neun auf Wunsch mit Pferd und Wagen nach Tegelen ins Krankenhaus zu bringen. Sowohl die Verwundeten als auch der Bürgermeister stimmten dem Vorschlag zu. Unversehrt erreichten sie Limburg.
 
Nochmals beschossen
Kehren wir zurück zum Zug. Nachdem die Toten und Verwundeten weggebracht worden waren, mussten die Männer wieder in die Wagons. Unter der Bedingung, dass niemand einen Fluchtversuch unternahm – die Pater mussten sich dafür verbürgen – durften die Schiebetüren offen bleiben. Auf der Höhe von Boisheim, einige Kilometer weiter, ging es zum zweiten Mal schief. Sechs Jagdbomber nahmen die Wagons unter Beschuss und warfen je vier Bomben ab. In fliegender hast sprangen alle aus dem Wagen. Das kahle Gelände bot keine einzige Deckung. Hinlegen, riefen einige Bewacher noch, aber sogar ihre Kollegen hatten davon genug und flüchteten in Richtung auf einen Bauernhof. Rund um den Zug brach die Hölle los: „Ich spürte eine gewaltige Erschütterung, und sechs Meter von mir entfernt explodierte eine Bombe. Sand und Lehm fielen auf mich. Schnell aufgestanden und in das Loch; es dampfte noch. Eine unbeschreibliche Angst. (...) Beten und nochmals beten.“ Einige wurden durch den Luftdruck hochgeschleudert. Doch wurde, so weit bekannt, niemand verletzt. Als alles vorbei war, wurden die Männer in einem Wald zusammengetrieben, um dort den Abend abzuwarten. Der fantastischste unter den „Grünen“ versuchte den Patern die Schuld an der großen Anzahl der Geflüchteten n die Schuhe zu schieben, aber das wurde selbst seinen Kumpanen zu bunt. Was konnte man, wenn auch immer, unter solchen Umständen übel nehmen? Namentlich die Geistlichen zeichneten sich durch mutiges Verhalten aus, meinten sie.
 
Flucht
Bei Breyell, aber besonders Boisheim, als die Bewachung zeitweise so gut wie ausfiel, hatten Hunderte die Beine in die hand genommen. Ein Einzelner unternahm die Tour zur Grenze allein, aber durchweg formierten sich spontan kleine Gruppen.: „Vater hat immer erzählt, dass der Soldat die Wagentür öffnete und dass Driek Burhenne, ein Scherenschleifer, ihm einen Schubs gab, so dass der Deutsche aus dem Zug fiel. So konnten sie entkommen. Er erzählte, dass er sich mit einem Jungen stundenlang versteckt hielt. Als es dunkel war, ist er hinter der Grenze in Reuver angekommen. In Tegelen wurde er endgültig befreit.“ Ein Pater hielt sich fünf Tage ohne Essen und Trinken in einer Scheine versteckt; dann musste er sich notgedrungen melden. Er hatte Glück. Die deutsche Bauernfamilie war ihm wohlgesonnen und gab ihm zu essen. Zu Fuß kehrte er nach Aachen zurück. Herman Hovens aus Breyell half ebenfalls. Das sickerte durch, aber sein guter Ruf im Ort hielt die Polizei davon ab, tief greifende Untersuchungen anzustellen. Hilfe von der deutschen Grenzbevölkerung war eher die Ausnahme als die Regel. Mancher hielt seine Chancen lieber in der eigenen Hand und sah aus Sicherheitsgründen davon ab. Vorzugsweise durchquerten sie das schwer begehbare Gebiet in der nacht. Überall waren gefährlich tiefe Panzergräben, Stacheldrahtabsperrungen und andere Hindernisse. Trotzdem würden in den nächsten Taen an zahlreichen Orten zwischen Reuver und Venlo kleine Gruppen die Grenze überqueren, aber bis auf einen Einzigen kam niemand weiter als an die Maas. Sicher war es nirgends, und Razzien waren an der Tagesordnung. Während es einigen mit Ach und Krach gelang, sich dem Zugriff der Deutschen zu entziehen, indem sie von einer Untertauchadresse zur anderen zogen, wurden andere nachträglich aufgegriffen oder wurden im Januar oder Februar mit dem Rest der Bevölkerung in die drei nördlichen Provinzen umgesiedelt. Weitaus die meisten Fluchtversuche misslangen. Wie konnte es auch anders sein in dieser feindlichen Umgebung? Die Nachricht vom flüchtenden „Holländer“ verbreitete sich schnell. Leute von der Grünen Polizei und Hitlerjugend suchten die ganze Region ab. Wachsame oder besser fanatische Bürger, Militär, örtliche Polizei, ja sogar Kinder halfen dabei. Polizeizellen, Keller und andere Unterkünfte in Kaldenkirchen, Breyell, Lobberich, Boisheim, Dülken und Viersen waren bald gedrängt voll mit Wartenden.
 

Neuen Kommentar hinzufügen